Somme, Flandern, Arras Erinnerungen eines Maschinengewehrsoldaten aus dem Ersten Weltkrieg 1916 - 1917
Im Ersten Weltkrieg waren von Herbst 1914 bis Sommer 1918 die Kämpfe an der Westfront von Materialschlachten und Grabenkämpfen bisher nicht gekannten Ausmaßes geprägt. Kein Angriff erfolgte, ohne vorher das gegnerische Stellungssystem mit größtem Artillerieeinsatz zu bearbeiten. Auf der Seite der Verteidiger genügten meist wenige Maschinengewehre, um auch stärkste Angriffe zum Stehen zu bringen. Über Jahre hinaus konnte keine der Kriegsparteien entscheidende Vorteile erringen. Ende Juni 1916 begannen die Briten an der Somme eine Offensive, nachdem auf den deutschen Stellungen ein siebentägiges Trommelfeuer gelegen hatte. Der britische Infanterieangriff brach unter schwersten Verlusten im Feuer der deutschen Maschinengewehre zusammen. Die Offensive an der Somme wurde zu einer monatelangen Abnutzungsschlacht. Auf beiden Seiten wurden immer neue Divisionen in den Kampf geworfen. Es gab kaum eine deutsche Einheit, die nicht das Grauen an der Somme durchleben mußte. Zu ihnen gehörte auch eine Maschinengewehrkompanie. Im vorliegenden Buch erinnert sich ein Angehöriger dieser Kompanie detailliert an seinen Fronteinsatz. Der Bericht umfaßt die Zeit von Sommer 1916 bis Sommer 1917. Nach dem Kampf an der Somme wurde seine Division im Frühjahr 1917 in der Schlacht bei Arras und im Sommer 1917 in der Dritten Flandernschlacht eingesetzt. Die Hauptlast dieser Kämpfe mußte stets der einfache Soldat tragen. Er mußte im vorderen Graben ausharren im tagelangen schwersten Artilleriefeuer, im Feuer der Minenwerfer, vermischt mit Sprengungen ganzer Grabenabschnitte und ständigem Gasbeschuß. Er mußte leben und überleben in diesem Inferno, mußte sich in die Erde einwühlen, im Trommelfeuer die Stellungen immer wieder neu anlegen und Angriffe abwehren. Und ganz nebenbei mußte er in dieser Hölle des Grabenkrieges essen und schlafen. Ständig die gleiche Uniform am Leib, geplagt von Läusen und Ratten, Hitze und Durst, Nässe und Schlamm, den Verwesungsgeruch unzähliger Leichen in der Nase, den Tod der Kameraden vor Augen, hielt er aus, bis auch ihn das Schicksal ereilte. In diesem Buch bekommt man Einblick in den Alltag des einfachen Soldaten im Großkampf an der Westfront des Krieges, der das alte Europa für immer veränderte.
ISBN 978-3-00-057979-3 2. überarbeitete Auflage 214 Seiten, Hardcover, gebunden
19,90 Euro
Auszug aus dem Inhalt „ ... Da auf einmal der Ruf: "Der Tommy kommt!" Der Posten hat es in den Unterstand gebrüllt. Endlich das erlösende Wort. Jetzt kommt Leben in die verstörten Gesichter. Wir fassen Gewehr und Patronenkästen und stürzen hinaus, den zertrommelten Hang hinauf. Was wir nicht tragen können, bringen die anderen mit. Schnell ist das Gewehr in einem großen Trichter in Stellung gebracht. Der Regen hat aufgehört. Die ganze erste Linie entlang steigen die roten Leuchtkugeln. Der Augenblick ist gekommen, wo wir uns wehren müssen. Links und rechts, soweit wir sehen können, wälzen sich die braunen Sturmwellen des Gegners heran. Schon zerfetzt das Sperrfeuer unserer Artillerie seine Reihen. Große Lücken reißen die Maschinengewehre in die anstürmenden Massen. Aber der Gegner kommt näher. Jeder einzelne geht seinen Weg unbeirrt, ob links oder rechts andere liegenbleiben. Wilkens läßt Thiel schießen, damit er die Übersicht behält. Ich führe zu. Links und rechts von uns ballern die Infanteristen. Noch sind wir etwas aufgeregt. Bald hat aber Thiel seine Ruhe gefunden. Er schießt so ruhig und sicher wie auf dem Schießstand. Seine Ruhe überträgt sich auch auf uns.
Die Reihen des Gegners sind in Unordnung gekommen. Von den ersten beiden Wellen scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Neue Gruppen tauchen auf. Die Angreifer springen Deckung suchend von Trichter zu Trichter. Der aufgeweichte und zertrommelte Boden hindert sie am Vorwärtskommen. Das feindliche Artilleriefeuer streicht jetzt über uns hinweg. Es liegt bereits auf der rückwärtigen Stellung, um das Sperrfeuer unserer Artillerie zu stören und um uns zu Hilfe kommenden Reserven den Weg abzuschneiden.
Wir jagen schon den fünften Gurt durchs Gewehr. Das Kühlwasser kocht im Mantel und weißer Wasserdampf hüllt uns ein. Vor uns liegt der Feind in den Trichtern und arbeitet sich immer näher heran. Wir müssen scharf aufpassen und jede Bewegung beobachten. Links von uns krachen schon Handgranaten. Plötzlich verstummt das dort stehende Maschinengewehr. Wir sehen, daß die Massen der Angreifer aus den Trichtern hervorbrechen und dort dem deutschen Graben zustreben. Das Gewehr rechts von uns ist noch intakt. Wir flankieren mit unserem Gewehr nach links, wo sich die Angreifer zusammenballen. Heftiger krachen dort die Handgranaten und das Rufen und Schreien der kämpfenden Menschen und der Verwundeten übertönt noch den übrigen Kampflärm.
Ein Unteroffizier kommt herangewatet: "Befehl vom Kompanieführer: Maschinengewehr nach links und den Graben abriegeln." Wir packen Gewehr und Munition und waten nach links. Einige Infanteristen kommen schont entgegen, um uns zu helfen. An einem geeigneten Platz bringen wir das Gewehr in Stellung. Die Engländer haben an dieser Stelle den ersten Graben schon überschritten. Wir streuen erst einmal den Graben entlang und fassen dann die darüber Vorgedrungenen im Rücken. Sofort sind sie in den Trichtern verschwunden. Ein Zug Infanterie, der in einem Riegel gelegen hatte, kommt ihnen entgegen. Wir dürfen nicht mehr dorthin schießen, um unsere Kameraden nicht zu gefährden. Wir riegeln hier den Graben ab und halten neue Angreifer, die sich der Einbruchsstelle zuwenden, im Schach, während ein Leutnant mit einigen Mann den Graben wieder aufzurollen versucht. Sie kommen aber nicht weit, der Leutnant fällt. Auch der das Kommando übernehmende Vizefeldwebel fällt gleich danach.
Reserven arbeiten sich aus der zweiten Linie heran. An der Einbruchsstelle geht es immer noch hart her. Vorläufig gelingt es uns noch, einen größeren Kreis vor uns frei zu halten. Die Angreifen versuchen, unser Gewehr, das hier den Eckpfeiler der Verteidigung bildet, durch Handgranaten lahmzulegen. Sie treffen bloß noch nicht nahe genug heran und die Werfer sind auch bald erledigt. Drei Infanteristen decken uns in der Flanke. Sie nehmen jeden aufs Korn, der auf der Bildfläche auftaucht. Dadurch können wir ungehindert dahin schießen, wo wir es für notwendig halten.
Unsere Artillerie schießt noch immer Sperrfeuer. Trotz des Lärmes hören wir das Jammern und Schreien der unzähligen vor uns liegenden Verwundeten. Überall kriechen sie zurück nach ihrem Graben. Es ist uns ein Rätsel, wo überhaupt die vielen Menschen, die hier angegriffen haben, hingekommen sind. Ein großer Teil liegt allerdings in den Trichtern und wartet auf den geeigneten Moment, wieder hervorzubrechen.
Von den drei Infanteristen werden zwei durch eine Handgranate verwundet. Wir streuen das Gelände vor uns ab. Da bekommen wir plötzlich Maschinengewehrfeuer aus einem Trichter aus nächster Nähe. Haarscharf zischen die Kugeln knapp über die Köpfe. Jetzt wird es blutiger Ernst, jetzt geht es aufs Ganze. Entweder wir oder die. Für den ersten Moment hatten wir uns wohl geduckt. Wilkens ruft zwei Infanteristen heran. Das feindliche Maschinengewehr will uns von der einen Seite niederhalten, während sich andere heranarbeiten und uns mittels Handgranaten erledigen wollen. Ehe die Engländer weiterschießen, ist Thiel wieder hoch und nimmt den Trichter unter Feuer. Jedenfalls sind die englischen Schützen überrascht und ehe sie einen Schuß abgeben können, fallen sie zurück, während ihr Gewehr nach vorn fällt und von vielen Kugeln getroffen wird.
Immer mehr Engländer sammeln sich vor uns im Halbkreis. Wir werden hart bedrängt. Wir müssen uns aber selbst helfen, denn die anderen Kameraden haben alle mit sich zu tun. Wilkens mahnt zur Ruhe. Aufpassen, daß keine Hemmung am Gewehr eintritt. Denn kein Sandkorn darf in den feinkonstruierten Mechanismus eines Maschinengewehres geraten. Unendlich viel hängt in solchen kritischen Augenblicken vom Funktionieren des Gewehres ab.
So tobt der Kampf schon über eine Stunde lang. Nur der wird obenauf bleiben, der die größte Energie aufbringt und die größte Ausdauer hat. Es ist doch eigenartig, mit welcher Kaltblütigkeit Menschen aufeinander schießen können. Aber in diesem Moment, in dem das geschieht, ist man sich der Tat kaum bewußt. Jeder tut es aus dem Trieb der Selbsterhaltung. Besonders die Leute am Maschinengewehr müssen ausharren und schießen bis zum letzten Augenblick. Und wenn die Gegner links und rechts in den Graben springen, ist es jedenfalls zwecklos davonzulaufen, denn man würde wie ein Hase abgeschossen und es wäre auch wenig ehrenvoll, das Gewehr dem Gegner zu überlassen.
... "
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